Hier ist nun der Text der Eröffnungsrede von Jean-Luc Tissot anlässlich meiner Ausstelung „…und ich“ im queeren Zentrum Onkel Emma in Braunschweig.
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Vernissage Stephan Kaps
26. Sept.2014
Lieber Stephan,
Liebe Freundinnen und Freunde,
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
herzlich Willkommen zu der 6. Ausstellung im queeren Zentrum Onkel Emma. Jede Ausstellung hat ihren eigenen Charakter und prägt auf ihrer Art die Atmosphäre unserer Räume. Besucher und Besucherinnen nehmen die Ausstellungen wahr: wenn sie sich an die Bilder gewöhnt haben, passiert ein Wunder, die nächsten kommen für 3 Monate an die Wände… gerade genug Zeit, sich dran zu gewöhnen!
Stephan Kaps, geboren 1981, ist mit seinem Studium der freien Kunst an der HBK Braunschweig gerade fertig und macht uns die Ehre, 18 seiner Fotos zu zeigen, entstanden zwischen 2000 und 2013.
Sagen wir es von vorne herein, seit 15 Jahren stellt Stephan fast in der ganzen Welt aus und zum ersten Mal hier in einem schwulen Kontext. Entsprechend hat er auch seine Fotos ausgewählt und es liegt nah, dass ich jetzt versuche, diesen Aspekt zu beleuchten und nur diesen.
In den Bildern, die ich sofort mit Schwulsein identifizieren kann, begegne ich Stephan selber, dem schwulen Fotografen, der sich selber inszeniert und Selbstportraits macht. Ich entdecke verschiedene Facetten und bin von ihrem Reichtum und ihrer Tiefe überrascht.
Zuerst fällt mir das rosa Dreieck auf als Symbol der Unterdrückung und der Vernichtung der Homosexuellen in Deutschland. Dieses traurige Kapitel unserer Geschichte gehört zwar der Vergangenheit an, es prägt aber noch das Bewusstsein nicht nur der Generationen, die den Krieg und die Nachkriegszeit erlebt haben, sondern auch das der jüngeren, zu denen Stephan Kaps eindeutig gehört. Und das ist gut so, gut so, dass die neue Generation nicht das vergisst und wach bleibt, wenn unsere Würde angetastet wird.
Und weit brauchen wir nicht zu suchen… ich lesen im Spiegel-Online-Forum vom 17. September 2014: “Niedersachsen: CDU-Abgeordnete warnt vor Homosexuellen an Schulen. Eine geplante Sexualkunde-Reform sorgt in Niedersachsen für Aufruhr. Die Landesregierung will Homo- oder Transsexualität stärker im Schulunterricht thematisieren. Jetzt fürchtet eine CDU-Abgeordnete um das Kindeswohl.“ Das rosa Dreieck prägt unsere schwule Identität, die Fotos von Stephan zeugen davon. Und nicht nur das rosa Dreieck zeigt er ganz deutlich, sondern er badet so zu sagen seine Fotoreihe über Schwulsein in die Rosafarben, nicht zufällig, als ob er uns wachsam halten möchte.
Dreieck, die Farbe Rosa… und welche Vorstellung vom Schwulsein entdecke ich noch in seinen Fotos? Stephan zieht sein T-Shirt aus und verdeckt damit den oberen Teil seines Gesichtes; er beißt in den Apfel, sein Gesicht verschwindet in die Unschärfe; er zieht sich aus und dreht dem Betrachter den Rücken zu; er zeigt sich in Unterhosen (rosa natürlich) und kriecht unter eine dicke Decke; er zeigt sein ganzes Gesicht und seine Brust, sie sind geschminkt. Wie kann ich das deuten? Reminiszenz an das schwierige Coming-out von Stephan, der seine Kindheit und seine Jugend auf dem Land verbringt? Vielleicht; Spiegel der heutigen Gesellschaft mit ihrer Ambivalenz zur Homosexualität halb politisch korrekt halb von Vorurteilen geprägt? Vielleicht; Symbol von vielen Lesben und Schwulen, alt und jung, die heute noch ihre sexuelle Identität verschleiern oder teilweise verbergen? Vielleicht. Vielleicht noch weiteres…
Religion und Homosexualität, das passt doch nicht zusammen! Für Stephan scheint es im jeden Fall ein Thema zu sein, das ihn beschäftigt. Der Sündenfall ist aber schmackhaft wie ein saftiger Apfel und was übrig bleibt, ist ein Gebet wert mit dem Rosenkranz. Der Schwule hat seinen Platz vor Gott gefunden und Er hat Gefallen an ihm gefunden. Gott sei dank!
Ach ja, und ich wunderte mich über die Grobkörnigkeit der Fotos. Hat es denn auch mit Schwulsein zu tun? Ich wage eine Interpretation! Stephan arbeitet nur analog, er macht also also keine digitalen Fotos und scannt die Farbnegative bis er die Qualität erreicht, die hier gezeigt wird. Eine handwerkliche Arbeit. Stephan sagt von sich „ich kann nicht nicht fotografieren, ich sehe nur durch eine Kamera“. Fotos sollen das auffangen, was er aus dem Bauch oder dem Reiz des Augenblickes wahrnimmt. „Es geht darum“, schreibt Stephan, „was das Fotografieren mit mir macht“. Ähnlich wie seine Homosexualität, sind Stephans Fotos nicht abgeleckt, nicht künstlich, nicht weit hergeholt. Sie sind basisch, authentisch, tief in seinem Leben verwurzelt, nackt. Von dieser Essenz, von diesem Existentialismus erzählen seine Bilder. Ich habe den Eindruck, auch ich verstehe sie am besten mit dem Bauch!
Und noch eine letzte Frage: Stephans bildliche Sprache über Homosexualität geht nur über sich selber; er zeigt keine anderen, er zeigt sich nicht mal in Beziehung zu anderen. Interessant. Ist denn Selbstbezogenheit typisch schwul? Ich mag keine allgemeine Antwort auf diese Frage geben. Wie Stephan auf Photoshop verzichtet und auf der Suche nach Authentizität ist, so mag er auch keine Filter, keinen Übersetzer nutzen, um diese Dimension seiner Persönlichkeit in Bilder zu übertragen. Am Wirkungsvollsten inszeniert er sich selber und alleine vor der Kamera und drückt auf die Fernbedienung. Er spielt nicht, er ist und so zeigt er sich auch.
Seine anderen Fotos zeigen weitere Dimensionen seines Schaffens und seiner Persönlichkeit; bei Stephan scheint mir beides immer ganz eng verbunden: ein Pärchen sitzt und isst am Rand eines Bürgersteiges, ein Mann geht beim Sonnenuntergang über die Straße, eine Frau mit Spitzhacke und Laterne durchschreitet ein Feld mit hohem Gras, eine Frau steigt eine Treppe an einer Puppe vorüber im grünen Licht, liegende Männer heben ein Kind hoch… rührende Momente, rhythmische Bilder, leidenschaftliche Färbungen. Die Welten von Stephan Kaps schreien nach Leben, das gesehen und erlebt werden will. Danke, Stephan, für deine Bilder, sie sind klein aber fein und ich mag sie.
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