Auch hat ein Bild (eine Fotografie um genau zu sein) einen ganz anderen Ausdruck, eine ganz andere Ästhetik, eine ganz andere Qualität, wenn es analog aufgenommen wurde. Ich möchte an dieser Stelle betonen, dass ich so gut wie nie digital fotografiere (als Künstler), dass ich deshalb aber niemandem die digitale Fotografie madig machen möchte.
Sicherlich ist die Zeit, die Langsamkeit mit der ich arbeite, die Verzögerung manchmal anstrengend und kräfteraubend (es kann Monate dauern, bis das Bild fertig ist und den Prozess von fotografieren, entwickeln, scannen durchlaufen hat), denn auf jedes produktive Shooting folgt das Arbeiten am Computer, wenn ich die Negative einscanne. Wir reden von ein bis sechs Stunden pro Film und pro Auftrag an mein Labor schicke ich mindestens 20 Filme los. Das ist eine Hausnummer. Mein Archiv, das zu großen Teilen (mehr als 65000 Fotos) auf Lomography zu sehen ist, ist also auch gefrorene Lebenszeit. Es verdeutlicht Wochen, die ich am Computer sitzend zugebracht habe, veranschaulicht aber dafür auch wie ein Fototagebuch mein Leben. Das heißt es (mein Archiv) zeigt Orte, Menschen und Dinge, die mir seit 2005 ins Auge gesprungen sind. Die Zeit vor 2005 ist noch nicht digitalisiert. Es warten aber auch hier mehrere tausend Fotografien. Aus diesen Schnappschüssen heraus erwachsen parallel meine inszenierten Fotografien, Portraits, Selbstportraits (zum Teil in Kostümen), Mehrfachbelichtungen (bis hin zu HQME, High Quantity Multiple Exposures) oder Pinholefotos, die in der Erstellung schon kein Schnappschuss seien können, sondern den gewohnten Gang verlangsamen, die eine Art Meditation beim Fotografieren sind, die den Alltag anhalten, um ihn im komprimierter, verdichteter Form einzufrieren, festzuhalten.
Dass dieses Festhalten und somit die Fotografie an sich ein egoistischer Akt ist, der nicht nur geschieht, um das Dargestellte abzubilden, sondern auch zu bezeugen, dass es mich, den Fotografen, gab (oder noch gibt), liegt auf der Hand. Selbstportraits verdoppeln diese egozentristische Sichtweise noch, denn Subjekt und Objekt sind identisch. Auch geht es im Selbstportrait um eine Inszenierung seiner selbst, darum, ein (Ab)Bild von sich zu schaffen, das über die bloße Darstellung von Körper hinausgeht; ein Bild zu schaffen, das auch Gefühl, Seele, eine Idee, eine Eigenschaft, eine Meinung,… verkörpert und was dem Betrachter dieses vermittelt. „Schaut her“, ruft es, „ich bin so und so!“ Oder dass es aber durch Übertreibung das Gegenteil aussagt.
Ein weiteres Element meiner Fotografie ist der Rhythmus. Rhythmus entsteht durch Wiederholung. Wiederholung äußert sich bei mir zum einen im Aufsuchen immer des selben Ortes (der sich dann auf den Abbildungen gleicht oder unterscheidet) oder einer Person, die dann im zeitlichen Verlauf Änderungen unterworfen ist (man könnte es „Leben“ nennen) und zum anderen in der rhythmischen Wiederholung innerhalb einer Fotografie. Auch hier gibt es wieder Unterscheidungen: So kann es sich um Mehrfachbelichtungen handeln, bei denen die Kamera gedreht wird, um einen geometrisch-rhythmischen Effekt zu erzielen, um Advance Technique Fotografien, bei denen Wiederholungen zeitens einer Langzeitbelichtung durch das Vorspulen des Films gemacht werden oder aber um HQME, deren Überlagerungen in der freien, bewegten Form zu einem verschwommen wirkenden Foto führen, in dem sich aber einzelne Linien deutlich wiederholend abzeichnen.
Ich erwähnte bereits, wie egoistisch die Fotografie doch ist. Doch ist sie zudem noch subjektiv. Ich als Fotograf wähle aus, ich bestimme, was gezeigt wird. Im Verlauf meiner Arbeit mit den HQMEs und hier besonders mit der Reihe 1to12 stellte sich mir allerdings noch die Frage nach dem Wahrheitsgehalt der Fotografie. In den Anfängen des Fotografierens war klar, dass das, was abgebildet ist, auch wirklich existierte. Fotografie hatte Beweiskraft, Fotografie war indexikalisch. Im Verlauf der Geschichte der Fotografie und vor allem mit dem Einzug der (digitalen) Bildbearbeitung hat die Fotografie diese Indexikalität verloren. Vielleicht ist auch dieser nostalgische Glaube an die Abbildung etwas Seienden ein Antrieb, weiterhin mit analogem Material zu arbeiten. Doch zurück zur Wahrheitsfrage. In der Reihe 1to12 stelle ich zwölf Bilder in drei Reihen à vier Fotografien nebeneinander, die den selben Ort zeigen. Auf den ersten Blick wirken sie identisch, doch dann entdeckt man Abweichungen, denn die zwölf Fotos sind alles andere als identisch. Bild 1 besteht aus einer Belichtung (Lage), Bild 2 aus zweien, 3 aus dreien und so weiter bis der Mittelformatfilm mit zwölf Bildern (das letzte Bild hat also zwölf Lagen) gefüllt ist. Das bedeutet auch, dass das erste Bild eine längere Belichtungszeit am Stück hat, die sich dann auf die anderen Bilder aufteilt:
———— → —— —— → —- —- —- → […] → – – – – – – – – – – – –
Ein Bild aus zwölf Lagen muss anders belichtet werden als eine Einfachbelichtung. Diese Schichtung von einzelnen Lagen findet bereits in der Kamera, also beim Fotografieren, statt und wir nicht nachträglich erstellt. Doch welches dieser Bilder ist nun „wahr“? Die eine Belichtung oder die zwölf? Und darf man heute im Zusammenhang mit Fotografie überhaupt noch von Wahrheit sprechen?
Mein Anspruch ist es, weiterhin analog zu arbeiten und meine Sicht auf die Dinge wiederzugeben.
geschrieben am 3. Juni 2013
rik
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feine ansichten und einsichten
willie
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schön!