Am rechten Fleck – Beobachtungen zu Stephan Kaps analoger Fotoserie
`Pink Triangle Self Portraits´ (2013)
Ein junger Mann ist im Begriff sich seines Shirts zu entledigen. Er zieht dieses über seinen Kopf, sodass der Stoff seine Augen verdeckt. Dabei legt er seinen Oberkörper, auf welchem sich eine rosafarbene, geometrische Form abzeichnet, frei. Dieses Merkmal manifestiert sich auf der Brust des jungen Mannes und taucht immer dann auf, wenn sich eben dieser dem Betrachter zuwendet. Doch auf der nächsten Fotografie dreht er sich von diesem ab, noch immer den Stoff über seinem Kopf tragend. Auf der folgenden inspiziert er intensiv seine linke, gekennzeichnete Brustpartie. Noch immer vom Betrachter abgewandt, trägt der junge Mann nun um seinen Hals einen Rosenkranz. Auf einem weiteren Foto beißt er martialisch in einen Apfel und schaut dabei fordernd dem Betrachter in die Augen. Apfelrest und Rosenkranz liegen auf dem nächsten vereint auf dem Boden. Auf den nächsten Fotografien bedeckt der junge Mann sich mit einer roten Bettdecke: Mal kniend, mal sitzend oder liegend, sodass einzelne Körperteile wie Rücken und Hintern, Brust und Bauch sowie die Beine in den Vordergrund des Bildgeschehens treten. Hier und da leuchtet die markierte Brust rosafarbend auf. Währenddessen bekommt, Fotografie für Fotografie, jedes seiner einzelnen Körperteile seine Aufmerksamkeit zugesprochen. Mit der systematischen Zurschaustellung seines Körpers geht der junge Mann noch einen Schritt weiter und zeigt nun stehend, die ebenfalls rosafarbene Unterhose, mit beiden Daumen herunterziehend, beziehungsweise haltend, seinen nackten Hintern dem Betrachter. Auf der darauf folgenden Fotografie ist er dem Betrachter wieder mit seiner Vorderseite zugewandt, spricht seiner Unterhose die eigentliche Funktion ab und trägt diese nun über seinem Kopf, sodass sein Gesicht abermals verdeckt wird. Dabei weiß der junge Mann mit seinen Händen sein Geschlecht vor den Blicken des Betrachters zu schützen. Die szenische Situation, welche eben noch in einem Schlafzimmer spielen musste, erfährt einen Raumwechsel: Ein Badezimmer dient nun als Handlungsraum. Der Protagonist positioniert sich hinter einem Duschvorhang – halb versteckend, halb neugierig schauend – dabei sticht die rosafarbene, geometrische Form auf seiner linken Brust wieder hervor. Diese Raumsequenz schließt mit der rosafarbenen Unterhose, welche von seinem Träger auf dem Badezimmerboden zurückgelassen wird.
Der Künstler Stephan Kaps schafft es innerhalb der Bildabfolge der Fotoserie `Pink Triangle Self Portraits´ (2013) zwischen ruhigen und staccatohaften Momenten zu changieren, sodass eine ausgewogene Komposition entsteht. Der Betrachter wird sofort vom abgebildeten Geschehen der Fotografien eingenommen, allerdings erfährt dieser nicht alles. Was er zu sehen bekommt, sind einzelne Momentaufnahmen des handelnden Künstlers. Sie erinnern an Film Stills. Der Betrachter wird mit einem sich nun entspinnenden Spannungsbogen konfrontiert. Dabei entstehen Fragen nach dem was »Geschah-in-der-Zwischenzeit?«, welche nun in den Vordergrund treten. Durch das Vexierspiel der Schärfe und Unschärfe sowie des groben Korns der einzelnen, analogen Fotografien, entsteht der scheinbare Eindruck, als könne der Künstler über die Nähe und die Distanz des szenischen »Dabei-seins« des Betrachters kontrollieren.
Eine rosafarbene, geometrische Form kristallisiert sich als Leitfaden in der Fotoserie `Pink Triangle Self Portraits´ (2013) heraus. In seiner Form und Farbigkeit löst dieses Mal, welches sich auf der linken Brust des jungen Mannes befindet, Assoziationen aus. Tief im kollektiven Gedächtnis findet sich dieses Merkmal wieder: Es ist der rosafarbendende und stigma-tisierende Winkel, welcher in der Zeit des Nationalsozialismus die homosexuellen Insassen der Konzentrationslager als Aufnäher auf ihren Uniformen kennzeichnete. In den 1970er Jahren wurde dieses Zeichen zum Symbol der internationalen Homosexuellenbewegung.1 Die historisch ambivalent behafteten Konnotationen dieses Winkels, werden durch den vom Künstler genutzten Begriffs des Wimpels bewusst einmal mehr gebrochen, obgleich eine permanente Erinnerung daran haften bleibt. Haften bleibt im wahrsten Sinne des Wortes, denn als eine Art Tattoo ist die Kennzeichnung auf seiner Haut aufgetragen. Der Künstler Stephan Kaps, welcher sich in dieser Arbeit selbst portraitierte, zeigt einen Diskurs, welcher über seinen Körper ausgetragen wird. Der rosafarbene Wimpel dient zwar als Markierung seines homosexuellen Körpers, aber nicht als Stigmatisierung, sondern als Ausgangspunkt zu einem inneren, wie für den Betrachter nach außen getragenen Dialog. Es sind nicht nur intime Momente, die die Fotoserie `Pink Triangle Self Portraits´ (2013) preisgibt, sondern sie fungiert auch als eine Art fotografische Dokumentation eines performativen Aktes.
Der Künstler setzt sich mit der Frage nach der Vereinbarkeit der eigenen Sexualität und seiner Religiosität auseinander. Es scheint als wolle er mit der seriellen, gar szenischen Abfolge seiner Fotografien den Betrachter provozieren. Mit dem Biss in den Apfel, beziehungsweise seines gänzlichen Verspeisens, dient dieser eindeutig als Attribut des Auslösens des Sündenfalls, welcher durch den hölzernen Rosenkranz der katholischen Kirche verstärkt wird. Währenddessen fokussiert Kaps den Betrachter fordernd. Der Wunsch nach einer Diskussion wird auf den Betrachter übertragen. Dabei steht nicht die Findung nach der einen Antwort im Vordergrund, sondern der Prozess einer möglichen Diskussion, die durch diese Arbeit angestoßen werden soll – ausgelöst durch ein rosafarbenes Tattoo am rechten Fleck.
1 Erst in den 1990er Jahren sollte sich die Regenbogenflagge, welche aus den USA stammte, in Europa durch-setzen.
Teile der Serie „Pink Triangle Self Portraits“ sind vom 4.2.2016 bis Ende April 2016 im andersRaum Hannover zu sehen. Die Eröffnung findet am 4.2. um 19 Uhr statt.