Anlässlich der Eröffnung der Ausstellung „Leben mit Aids“ des in Braunschweig lebenden Künstlers Jean Luc habe ich in meiner Funktion als Programmbereichsleiter Kulturelle Bildung an der VHS Hannover ein paar Worte gesprochen:
Liebe Gäste, lieber Jean-Luc,
ich freue mich sehr darüber, heute Abend Deine Ausstellung „Leben mit Aids“ für
die Ada-und- Theodor-Lessing- Volkshochschule Hannover eröffnen zu dürfen und
habe dafür ein paar Notizen gemacht:
Über die Serie „Leben mit Aids“ von Jean Luc
Die Serie „Leben mit Aids“ des in der Schweiz geborenen und in Braunschweig
lebenden Künstlers Jean Luc befasst sich mit der Auseinandersetzung seiner
eigenen Aids-Erkrankung. Seine große Serie, von denen 100 in der
Volkshochschule Hannover hier im Lindener Rathaus zu sehen sind, zeigt in
Collagen Männer-Bilder, die die Phasen seines Prozesses des Umgangs mit der
Erkrankung aufzeigen. Jean Luc erstellt die Bildzusammensetzungen und
fotografiert sie ab, um ein einheitliches, fotografisches Bild zu erzeugen, das in
manchen Fällen erst auf dem zweiten Blick offenbart, dass es sich um eine
Collage handelt. Das lässt mich gerade an die wunderbare Natalie Czech denken,
die ihre textuellen Bilder und Fundstücke auch abfotografiert. Die Frage der
Benennung wirft sich auf, ob die Collage oder die Fotografie der Akt des
künstlerischen Ausdrucks ist, wobei Jean Luc dort eindeutig ist, wenn er sich
selbst „Collagist“ nennt.
In dem Buch „33 Künstler in 3 Akten“ von Sarah Thornton habe ich eine schöne
Aussage von der Künstlerin Wangechi Mutu gefunden. Ich zitiere Thornton:
„Neben ihrer Manie, alles zu zerteilen und zu zerschneiden, liebt Mutu die Collage
auch wegen ihres egalitären Charakters.“ 1 , und es folgt ein Zitat der Künstlerin
selbst: „Kinder machen Collagen, Hausfrauen machen Collagen, und wenn es nur
Geburtstagskarten sind. […] Es ist eine demokratische Kunst.“ 2
Und gerade dieser Aspekt ist so stimmig mit dem Ort, der Volkshochschule und
deren Bildungsauftrag: Demokratie.
Die Themen HIV und Aids sind aus der medialen Aufmerksamkeit verschwunden.
Wo noch in den 1990er-Jahren Ingolf Lück und Hella von Sinnen lauthals nach
Kondomen riefen und Innenstädte mit Kondom-Plakaten gepflastert waren, sind
jetzt (ganz subjektiv) weniger Hinweise im Stadtraum sichtbar. Gleichzeitigt
steigt die Informationsmenge im Internet, doch dazu muss man danach suchen.
Die Ausstellung hier in diesem von vielen verschiedenen Menschen
hochfrequentierten Gebäude soll zur „Halbzeit“ zwischen den Welt-Aids- Tagen
am 1. Dezember an das Thema erinnern und tut dieses sehr subtil. Farben,
Formen und fesche Fotomodelle laden zum Hinsehen ein. Das Thema wird in
einer Collage sehr deutlich, die zwei Engelchen zeigt unter denen auf rotem
Grund das Wort „Aids“ steht – doch ist das nur eine von 100 Collagen. Auf den
Plakaten steht der Titel. Es geht nicht nur um das Leben mit Aids, sondern auch
um das Leben als homosexueller Mann und Jean Luc, der Jahrgang 1946 ist, hat
eine gesellschaftliche Veränderung bis hin zur Abschaffung des Paragraphen 175
Strafgesetzbuch mitgemacht. Seine Collagen zeigen sein Leben, zu dem auch
zwei sich küssende Männer gehören, was anscheinend auf Kritik an anderen
Ausstellungorten stieß. Doch gerade diese Kritik fördert die Diskussion um Werte
und welche Werte will unsere Gesellschaft vertreten?
In Vorbereitung zu dieser Eröffnung musste ich an Susan Sontag und ihren Text
„Aids und seine Metaphern“ denken. Sie beginnt wie folgt:
„Bei „Metapher“ dachte ich an die früheste und prägnanteste Definition, die ich
kenne: in der Poetik des Aristoteles […]. „Eine Metapher“, sagt Aristoteles dort,
„ist die Übertragung eines Wortes (das somit in uneigentlicher Bedeutung
verwendet wird …“ 3 und weiter „[…] etwas sei (wie) etwas anderes, was es
„eigentlich“ nicht ist […]“ 4
Doch später in diesem ersten Absatz warnt sie:
"Natürlich kann man nicht ohne Metaphern denken. Das heißt aber nicht, daß es
nicht Metaphern gibt, vor denen wir auf der Hut sein oder die wir abschaffen
müssen."
Im Verlauf des Textes weist sie auf den sprachlichen Umgang mit der Krankheit
als Krieg hin, denn daraus entstehe ein Bild von etwas Fremdem und Anderem
und eine Dämonisierung 5 und das unschuldige Opfer fühle in der "unerbittlichen
Logik derartiger relationaler Begriffe, Schuld." 6 .
Wenn Sie gleich auf die Bilder blicken, entdecken Sie vielleicht thematisch
zusammenhängende Collagen, die Wut und die Schreie, ebenso wie
hoffnungsvolle Bilder. Spannend im Zusammenhang gerade mit der Betrachtung
von Kunst eines HIV-positiven Menschens ist folgender Satz:
"Den moralischen Urteilen im Zusammenhang mit Krankheiten liegen häufig
ästhetische Urteile zugrunde über das Schöne und das Häßliche, das Reine und
das Unreine, das Vertraute und das Fremde oder Unheimliche." 7
Folgt daraus, dass das Wissen um die Erkrankung von Jean Luc die Betrachtung
auf seine Kunst verändert? Macht dieses Wissen Angst oder weckt es die
Neugierde?
Sehen und entscheiden Sie selbst.
1 Sarah Thornton, 33 Künstler in 3 Akten, S. Fischer, Frankfurt am Main 2015, S. 76
2 Ebd.
3 Susan Sontag, Aids und seine Metaphern, S. Fischer, Frankfurt am Main, 2003, S. 79
4 Ebd.
5 Ebd., vgl. S. 84
6 Ebd., S. 84
7 Ebd., S. 107