Der diesjährige Videokunstwettbewerb des Goethe-Instituts ist mit einer Zeile
aus dem Radiohead-Song „Creep“ betitelt: Your Skin Makes Me Cry – Deine Haut
lässt mich weinen. Es soll vor allem um zwischenmenschliche und
gesellschaftliche Themen gehen, besonders aber um die Rollen von Mann und
Frau und deren Bewertung. Auch sollen im Kontext der Globalisierung
verschiedene Kulturen, Moralvorstellungen, Gesellschaftssysteme und Religionen
berücksichtigt werden. Dabei kann in der Umsetzung frei gearbeitet werden; von
Einzelbefragungen, Zweierbeziehungen bis hin zur Analyse gesellschaftlicher
Rahmenbedingungen, die sowohl dokumentarisch, als auch narrativ und fiktiv
sein dürfen.
Einige Studierende der Filmklasse von Professor Michael Brynntrup an der
Hochschule für Bildende Künste in Braunschweig haben sich dieser Aufgabe
gestellt und ihre Arbeiten möchte ich im Folgenden vorstellen.
When you were here before / couldn’t look you in the eyes
Liebe. Beziehung. Konflikt. “Slowly Circling Hawks” von Apricum Media
(dahinter verbergen sich Steve Luxembourg und August Freytag) ist die
Darstellung einer Paarbeziehung. Das Musikvideo, dessen Text und Musik auch
von Aprium Media selbst geschrieben und eingespielt wurden, zeigt das Auf und
Ab dieses Miteinander, das sich nahe sein, das Auseinandergehen, das
Wiederfinden, um am Ende doch für sich zu sein. Der Film ist in Braunschweiger
Brauntönen gehalten, was die melancholische Stimmung unterstreicht. Die volle
Popstimme von Luxembourg, der wie ein Kommentar(tor), wie ein
Nachrichtensprecher mit Untertiteln selbst als Film im Film auftaucht, und den
Text auf seine eigene, teilweise schwer verständliche Art wiedergibt, fügen sich
sehr gut in die Musik ein. Am Ende bleibt nur eine Frage: Wird die Melancholie
siegen?
You’re just like an angel / your skin makes me cry
Aus einer Unschärfe heraus beginnt der Film „La nera porta“ (die schwarze Tür)
von Alice Angeletti. Diese Unschärfe verwandelt sich in den Rand eines
Waschbeckens, auf dem blutige Fingerabdrücke zu sehen sind. Ein Sprung. Wir
sind in einem dunklen Kellerraum. Dieser Raum ist bedrückend, verängstigend.
Und dann hören wir in aller Klarheit einen sich drehenden Schlüssel im Schloss
der schweren Kellertür. Ein Knarren. Niemand erscheint. Eine erneute
Schlüsseldrehung. Was befindet sich in diesem Verlies? Die Antwort darauf folgt
nur einen Augenblick später. Wir sehen einen Körper, weiblich, nackt. Ganz
unbewegt liegt er unter auf einer zweistöckigen Pritsche, die an ein KZ denken
lässt. Mit dem wenigen Licht wirkt die Frau wie tot, ganz grau. Doch das
Kellerlicht geht an und taucht den Körper in ein warmes Gelb. Dass dieses
bisschen Licht den Körper lebendiger erscheinen lässt, verstärkt nur das Gefühl
der Objekthaftigkeit. Wir als Betrachter schauen auf diesen Raum, auf diesen
Körper, auf unser Reich, wo wir etwas Besonderes versteckt haben. Ein Mann
kommt ins Bild. Er zeichnet sich nach und nach ab. Der weibliche Körper liegt
weiter schutzlos und nackt da, wie klassische Darstellungen von Christus nach
der Kreuzabnahme. Seine Hand greift den Bauch, packt fest zu. Der Mann stellt
sich hinter den Kopf der Frau. Wir sehen seine riesigen Pranken, die ihren Mund
penetrieren. Und am Ende ist da diese Spinne, das Symbol der weiblichen Angst.
Alice Angeletti gelingt es in ihrem sechsminütigen Film, unglaubliche Spannung
aufzubauen. Grobkörnige, dunkle Bilder fügen der Atmosphäre so viel hinzu, dass
der Betrachter den Blick nicht abwenden kann. Er steigt mit dem Mann hinab in
die Abgründe der menschlichen Psyche. Verstörend!
You float like a feather / in a beautiful world
“Reflex” ist der erste Film, den Deborah Uhde je gemacht hat. Man sieht sie im
Portrait. Sie bearbeitet ihr Gesicht, zieht, zerrt, drückt, piekst, reibt und dazu
hören wir ihre Stimme, die über Flexibilität in der Arbeitswelt spricht. Dabei
beginnt sie mit ihrem Ohr, dass immer wieder in die Ausgangsposition
zurückgeht. Später schneidet sie Grimassen, zu denen sie Sprichwörter
wiedergibt. Sie weiß, wie der Hase läuft!
Für den Wettbewerb nimmt sich Uhde ihre etwa fünf Jahre alte Arbeit erneut vor,
um sie zu reenacten, nachzustellen und die alte und neue Version miteinander zu
kombinieren. Ein Wechselspiel von dem eher kindlichen Gesicht der ersten Arbeit
zum Gesicht einer Frau. Doch die Thematik bleibt aktuell. Freiheit, Flexibilität,
Mobilität. Wie viele Erwartungen doch von außen an einem zerren, wie Uhdes
Hände in ihrem Gesicht.
I wish I was special / you’re so fucking special
Sie auf ihr Äußeres zu reduzieren, würde ihr nicht gerecht werden. In poetischen
Bildern lässt Vivian Oliveira den Betrachter an ihrem Leben teilhaben. Der
Fotofilm „Eu – fragmento“ (Ich – fragmentarisch) zeigt in Schwarzweißbildern die
Künstlerin selbst, die in Ausschnitten ihren Körper zeigt. Von konkret
erkennbaren Körperteilen, wie dem Mund, der Nase und immer wieder den
Augen hin zu abstrakten Formen, die an Landschaften erinnern. Überraschend
sind die Hände, denn ihre Innenflächen sehen so alt aus. Ein spannender
Kontrast zu der sonst so glatten, reinen Haut. Begleitet wird die Bilderfolge von
fast meditativen Klängen, die rhythmisch wechseln. Oliveira macht sich zum
Gegenstand dieses Films, zeigt ihre Haut, macht sich dadurch im Verlauf
angreifbar und verletzbar. Doch das letzte Bild zeigt eines ihrer Augen, das stark
und weit geöffnet in die Kamera blickt. Sie sieht. Sie erkennt. Und der Zuschauer
erkennt ihre Kraft und Stärke in dieser schönen Hülle.
But I’m a creep / I’m a weirdo
Wunderschön sind die Bilder, die Sabine Janz liefert. Mit ästhetischen
Unschärfen zeichnet sich die Umrisse und Strukturen des Körper eines toten
Hühnchen ab. Nackt und schutzlos liegt es da auf einem weißen, reinen
Untergrund. Eine Hand streichelt es. Das Huhn ist gerupft.
Wir sehen eine Hand, die den Rektalbereich des Huhns erst umspielt, um dann
komplett darin einzudringen und die Organe herauszuholen. Diese werden auf
der Unterlage ausgebreitet und genauer durch die Kamera in Augenschein
genommen. Wir hören ein Schmatzen und sehen das Rot der Organe, Organe wie
auch wir sie haben. Dabei gehen viele Menschen täglich so mit Fleisch um, nicht
nur der Metzger, der Koch oder die Hausfrau. Unser täglicher Umgang mit
Lebensmitteln, speziell dem des Ausnehmen eines Hühnchens werden in Frage
gestellt.
Doch die Reise des Huhns ist noch nicht beendet. Es wird abgeduscht, gereinigt.
Danach wird ihm unter großen Mühen brutal die Haut abgezogen und wie zum
Trocknen mit Wäscheklammern aufgehängt. Möchte man das? Will man dieses
Huhn essen? Die Schönheit der Bilder unterstreicht die Brutalität der Handlung.
Man empfindet mit, sowohl mit der ausführenden menschlichen Hand, als auch
mit dem Huhn.
What the hell am I doing here? / I don’t belong here
“chorar, chorar, chorar” ist Rhythmus. Der Kurzfilm von Mira Amadea
Vasconcelos besticht durch den sich wiederholenden und zum Ende hin
beschleunigten Beat eines Messers auf einem Holzbrett und die schnellen
Schnitte. Nicht nur dadurch, sondern auch, dass wir uns in einem gefliesten
Raum befinden, lässt der Film an die bekannte Duschszene in Hitchcocks
„Psycho“ denken. Nur handelt es sich hier bei dem Protagonisten um einen
Mann, der sich immer wieder die Augen reibt. Er weint. Und er schneidet. Wir
sehen diese vertraute Bewegung unscharf und doch erkennen wir sie. Aber er
hört nicht auf zu schneiden, obwohl er weint. Wird er sich verletzen? Der
Rhythmus beschleunigt, auch die Schnitte werden schneller. Die Spannung steigt
und wir erkennen das Objekt in der Hand des Mannes: es ist -!
I don’t care if it hurts/ I wanna have control
Akustische Basis für den Film „Deine Haut lässt mich weinen“ von Stephan Kaps
aka mephisto19 ist das Lied „Creep“ (Radiohead). Darüber wird ein Text
gesprochen, der die Beziehung des Filmers zu seinem Partner, aber auch
gleichgeschlechtliche Beziehungen im allgemeinen thematisiert.
Visuell beginnt der Film mit einer Unschärfe, die nach und nach klarer wird und
den nackten Oberkörper, die Brust eines Mannes zeigt, der ein großes, wulstiges
Wundmal trägt, die Narbe einer Herzoperation. Aus dieser Detailaufnahme geht
es nach einer Überblendung zum Torso und der Mann beginnt sich anzukleiden.
Doch wird der Betrachter irritiert, denn die Bewegungen sind merkwürdig. Das
liegt daran, dass der Film an der Stelle rückwärts abläuft. Der Mann, der sich
eigentlich auszieht und seine Narbe zeigt, seine Verletztheit, Verletzlichkeit und
Vergänglichkeit, dieses also entblößt, zieht sich nun an, bedeckt sich, kleidet sich
und verdeckt diese Spur des operativen Eingriffs unter mehreren Lagen Kleidung.
Er schafft sich somit eine neue Haut, schafft sich eine Identität weg vom
verletzlichen Mann hin zu einem, der einen beherzten Schritt aus dem Bild macht
und seinen Weg gehen wird. Doch unter den Lagen ist die Narbe, die so groß ist,
dass sie so schnell nicht verblasst. Sie ist eine Erinnerung an die Vergänglichkeit
und zugleich das Geschenk von mehr gemeinsamer Zeit.
I want a perfect body/ I want a perfect soul
„At times, I become a stranger to myself. I peel off my skin, my mask and I look
for the soul of a child.“
Als Untertitel ist dieser Text zu lesen, bevor wir ein Selbstportrait der Künstlerin
Jie Jie Ng sehen. Und dann reisst sie sich die Haut ab, zerstört ihr Bild um auf
die Suche nach ihrer Kindheit zu gehen. Das aktuelle Foto wird nur als Ausschnitt
bewahrt und von einem Kinderbild ersetzt. Es folgen weitere Fotografien, aber
auch eine kindliche Zeichnung. Die Uhr tickt, die Zeit läuft weiter und wir werden
alle älter. Geht dadurch ein Stück Kindheit verloren? Rücken wir immer weiter
von unserem Kinder-Ich ab? Was Ng probiert, ist sich diesem Gefühl wieder
anzunähern, sich mit ihrer Kindheit zu verbinden – „Reconnection“.
I want you to notice / when I’m not around
Poetisch beginnt der Film von Szu-Ying Hsu, die als Grundlage das Gedicht „He
Wishes For The Cloths Of Heaven“ von Wiliam Butler Yeats Zeile für Zeile auf
englisch und deutsch einblendet und zusätzlich noch auf chinesisch spricht. Der
Klang ihrer Stimme formt dabei Bilder, die zusätzlich noch durch den Text
gebildet werden.
Nach diesem Auftakt sieht man den nackten Rücken eines Mannes, der nur von
einer Kerze illuminiert wird. Dieser Rücken wird zum Papier, wenn Hsu beginnt,
mit Tusche und Pinsel darauf zu schreiben. In chinesischen Schriftzeichen bringt
sie das Yeats-Gedicht auf ihren Partner auf, schreibt sich in seine Haut ein und
schafft dadurch eine besondere Verbindung zu ihm. Begleitet wird das Schreiben
von fernöstlich klingender Musik, die die Sinnlichkeit dieser intimen Handlung
noch weiter unterstreicht.
You’re so fucking special/ I wish I was special
Als Teil der Filmklasse ist es für mich interessant zu sehen, wie die einzelnen
Künstler in ihrer Art, ihrem Stil, ihrer Arbeits- und Betrachtungsweise auf das
Thema eingehen, welche Unterschiede sich auftun und welche Gemeinsamkeiten
es gibt. Auch der Einsatz von neusten Kameras und damit eine aktuelle
Bildästhetik sind zu beobachten, wenn sich nicht bewusst dagegen entschieden
wurde. Auf jeden Fall zeigen die Filme die Bandbreite davon, was Film- und
Videokunst ausmacht.
Die Einleitung basiert auf dem Ausschreibungstext vom Goethe-Institut und die
Zwischenüberschriften sind die Lyrics von „Creep“.
Stephan Kaps, im Januar 2014